Eine Quelleninterpretation schreiben
- Was ist eine Quelleninterpretation?
- Die Einteilung von Quellen
- Systematische Arbeitsschritte zur Quelleninterpretation
- Literatur
Jeder Student der Geschichtswissenschaften wird im Laufe seines Unilebens mit Quellen konfrontiert und spätestens beim Schreiben der Abschlussarbeit sollte jedem Studierenden klar sein, wie man sachgemäß Quelleninterpretation schreibt.
Aber was sind eigentlich historische Quellen – und was nicht? Und nach welchen Merkmalen lassen sie sich unterscheiden? Wie werden wissenschaftliche Quellen dekodiert und der historische Sachverhalt schließlich interpretiert, lauten die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen und die in diesem Artikel beantwortet werden.
Was ist eine Quelleninterpretation?
Im Prinzip können alle historischen Medien, die in irgendeiner Weise Erkenntnisse über historische Sachverhalte vermitteln, als antike Quellen angesehen werden.
Johann Gustav Droysen, der große Historiker und Geschichtstheoretiker, bezeichnet in seiner Historik (1868) „alles und jedes, was die Spur von Menschengeist und Menschenhand an sich trägt“ (Droysen (1943), S. 38) als potenzielle Quelle. Das heißt aber nicht, dass jeder Text, der vorgibt Erkenntnisse über Vergangenes zu liefern, eine Quelle darstellt. So ist zum Beispiel Vincent Cronins (1995) Werk über Napoleon keine Quelle, sondern Literatur, die sich deshalb von einer Quelle unterscheidet, weil die geschilderten historischen Abläufe zwar auf der Basis von Quellen sowie der Literatur anderer Historiker beschrieben worden sind, sie jedoch selbst keine Quelle darstellt. Insofern stehen sich die Begriffe Quelle und Literatur als Gegensatzpaar gegenüber, deren Zuordnung stets von der formulierten Forschungsfrag abhängig ist.
Bei einer Quelleninterpretation geht es nun darum, diese Quellen auszulegen, zu interpretieren. Dabei werden je nach Quelle ganz verschiedene Arbeitsschritte vorgenommen.
Die Einteilung von Quellen
Setzt man sich mit dem Thema Quelleninterpretation auseinander, ist es sinnvoll, die verschiedenartigen Quellentypen, Primär-und Sekundärquellen sinnvoll voneinander abzugrenzen.
Primärquellen
Primärquellen bezeugen geschichtliche Ereignis oder Zusammenhänge aus erster Hand. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihr Aussagewert als besonders hoch eingeschätzt wird. Manchmal überliefern Primärquellen das Geschehene in schriftlicher Form, z.B. in Form von Berichten, Urkunden, Protokollen oder Korrespondenzen, die heutzutage zumeist in Archiven lagern. Als Primärquellen gelten jedoch auch materielle Zeugnisse wie z.B. Scherben und Waffen aber auch Bilder oder Tagebücher sind Primärquellen.
Sekundärquellen
Als Sekundärquellen gelten hingegen alle Quellen, die zwar über Historisches berichten, das jedoch nicht aus erster Hand tun. Aus Sekundärquellen lässt sich deshalb ableiten, was in einer – unter Umständen verlorengegangenen Quelle – gestanden hat. Sekundärquellen können Primärquellen zitieren oder sie sind aus ihnen entstanden. Die Herausforderung für den Historiker besteht darin, die Aussagekraft des Quelleninhalts bzw. ihre mutmaßliche Nähe zur Primärquelle korrekt einzuschätzen. Denn nicht selten muss – insbesondere bei antiken Quellen – berücksichtigt werden, dass die Sekundärquelle den Inhalt der Primärquelle fehlerhaft wiedergibt. Als Sekundärquellen gelten in der Regel geschichtswissenschaftliche Werke (Historiographie).
Beispiel zur Unterscheidung
Zur Identifikation einer Quelle als Primär- oder Sekundärquelle, kann der Zweck der Niederschrift und die Art des Dokuments dienen. So handelt es sich nach Ansicht des Historikers Ahasver von Brandt bei Goethes „Tagebuch der Italienischen Reise (1786) um eine Primärquelle, bei dessen „Italienische Reise“ von 1816 dagegen um eine Sekundärquelle (Brandt (1986), S. 51).
Das kann man z.B. daran erkennen, dass das Tagebuch schon als Textgattung immer eine Primärquelle ist. Hier schriebt jemand unmittelbar über das, was gerade passiert ist. Im besten Fall glaubt der Autor sogar, dass das Dokument niemals in die Hände der Öffentlichkeit gelangen wird und lässt es deshalb völlig unverfälscht.
Dieses Unterscheidungsmerkmal hebt gemäß Droysen auf die innere Eigenschaft einer Quelle bzw. das Bewusstsein ihres Urhebers ab. Eine solche Primärquelle würde er als „Überrest“ beschreiben, also als etwas was unabsichtlich und unmittelbar von einem historischen Ereignis übriggeblieben ist.
Goethes Werk „Italienische Reise“ hingegen, ist ein nachträglich verfasster Reisebericht, der sich zwar an den früheren Tagebucheinträgen orientiert und auch den Stil des Tagebuchs weitgehend übernimmt, trotzdem aber aus der Distanz verfasst ist. Hier ist sich Goethe seines Publikums bewusst und kürzt beispielsweise sehr subjektive Eindrücke heraus. Er macht sich gleichsam zum Geschichtsschreiber seines eigenen Lebens.
Dies entspricht der sogenannte „Tradition“ von Droysen. Der „Tradition“ wohnt eine bestimmte menschliche Auffassung inne. „Traditionsquellen“ beruhen also auch auf subjektiven Wahrnehmungen der Autoren und enthalten zudem Wertungen, die für die Darstellung des Zusammenhangs nicht nötig gewesen wären.
Systematische Arbeitsschritte zur Quelleninterpretation
Um nun eine Quelleninterpretation in der eigenen Bachelorarbeit auf sachgerechte Art und Weise durchführen zu können, sollte man auf die folgenden vier Arbeitsschritte ein Augenmerk legen, die nacheinander abzuklären sind.
Fragestellung
Die Arbeit mit Quellen setzt ein Erkenntnisinteresse voraus. Das heißt, dass der Ausgangspunkt einer jeden Quellenarbeit eine konkrete Fragestellung sein muss, die an die jeweilige Quelle zu richten ist.
Ein Brief, ein Memoirenband oder ein Tagebuch lassen sich zum Beispiel unter sozial-, politik- oder mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen ganz unterschiedlich lesen. Daher lassen sich nur mithilfe einer systematischen Quellenanalyse zufriedenstellende Antworten ermitteln. Dabei gilt es zunächst, Aufschlüsse über den Inhalt, die historischen Umstände und die Aussage der Quelle zu erlangen.
Formale Einteilung
Da wäre zunächst die Abklärung der formalen Struktur und Gliederung der Quelle, also beispielweise, ob es sich um eine Primär- oder Sekundärquelle handelt. Des Weiteren ist zu prüfen, ob die Überlieferung absichtsvoll oder zufällig erfolgte.
Auch muss stets nach dem Adressaten des Quelleninhalts gefragt werden. In diesem letzten Zusammenhang ist auch die Frage weiterführend, ob der überlieferte Bericht spontan oder in überlegter Rückschau zustande gekommen ist (Siehe auch die „Anleitung zur Quellenkritik und Quelleninterpretation“ der Universität Kassel).
Lesen und Analysieren
Nun gilt es den Wahrheitsgehalt der überlieferten Botschaft zu ermitteln. Dazu wird die Quelle zunächst einfach gelesen. Dabei werden die Hauptthesen, Schlüsselwörter und Kernstellen des Textes genauestens unter die Lupe genommen und auf mögliche Widersprüche, gedankliche Sprünge oder subjektive Schlussfolgerungen hin untersucht.
Im Anschluss sollten die Aussagen der Quelle jeweils gewichtet werden. Um dies zu bewerkstelligen, muss zwischen Sachaussagen, Sachurteilen und Werturteilen unterschieden werden. Doch Vorsicht: Eine (vermeintliche) Sachaussage, beispielweise zur Truppenstärke eines Heeres, dem Alter einer Dynastie oder auch geografische Angaben, können im Sinne der jeweiligen Zeit gestimmt haben, nun aber falsch sein oder einem anderen empirischen Verständnis geschuldet sein. Demensprechend sollte man auch Sachaussagen und Sachurteile genau analysieren. Im Gegensatz zu Werturteilen, deren subjektiver und zeitimmanenter Bezug teilweise sofort ins Auge springt, sind Sachaussagen- und Urteile oft nur verständlich und interpretierbar, wenn man nach einer Literaturrecherche geeignete und zitierfähige Literatur hinzuzieht. Hat man die genannten Aspekte jedoch entsprechend analysiert, ist man einer sachgerechten Quelleninterpretation bereits ein gutes Stück nähergekommen.
Während dieser Phase sollte man erst einmal ohne Forschungsliteratur arbeiten, um unvoreingenommen zu sein und eigene Ideen zu entwickeln. Gerade als Student fällt es einem sonst schwer, die Meinung der Experten zu einer Quelle und deren Botschaft und Glaubhaftigkeit etc. außer Acht zu lassen und zu eigenen Schlüssen zu kommen. Nur wenn man etwas nicht versteht, sollte man in Kommentaren zu der Quelle nachschlagen oder sich selbst ein Glossar anlegen. Um einen Text besser zu verstehen, hilft es außerdem zu exzerpieren. Doch Vorsicht: Verliert man den Überblick darüber, was man selbst gedacht und was man gelesen hat, kann bei einer Plagiatsprüfung schnell ein böses Erwachen folgen. Deshalb bietet sich auch immer das Lektorat der Bachelorarbeit an, um alles noch einmal überprüfen zu lassen.
Interpretation und Einordnung
Um die Quelle in ihre historischen Umstände einzuordnen, lohnt es sich, die 5 W-Fragen zu verwenden (Vgl. auch die Hinweise der Universität Koblenz):
Wer? Wie zuverlässig sind die Aussagen des Autors und wie ist seine Rolle historischen Abläufen, zu beteiligten Personen etc.? Kommt der Autor beispielsweise aus Nordeuropa, sollte man überlegen, ob er bei Ereignissen in Nordafrika selbst Augenzeuge sein konnte. Zudem kann man nach dem Charakter, der Intelligenz, Beobachtungsgabe und Informiertheit fragen. Und, auch sehr wichtig: In welche soziale Schicht wurde der Autor hineingeboren.
Wann? Der historische Zusammenhang der antiken Quelle muss genauestens überprüft werden. Hierfür ist es sinnvoll, den überlieferten Inhalt mit anderen, bereits gesicherten Erkenntnissen und Parallelquellen zu vergleichen und zu überprüfen, ob sich der Text in den übergeordneten geschichtlichen Zusammenhang einordnet oder ob hier Widersprüche vorliegen.
Wo? Die Frage des Ortes hat viel damit zu tun, ob jemand dazugehört oder nicht? Schreibt jemand direkt am Hof eines Fürsten oder aus dem Exil? Lebt jemand im Mittelpunkt oder in der Peripherie seiner damaligen Welt? Auch das muss in die Analyse einbezogen werden.
Warum? Natürlich ist weiterhin noch das Entstehungsmilieu generell zu untersuchen. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob der Text durch einen Auftraggeber veranlasst wurde oder ob er spontan oder aus eigenem Antrieb entstanden ist.
Wie? Hier geht es um den Stil, Bilder und Geschichten, an die die Quelle sich anlehnt. Inwieweit ist der Stil der Quelle beispielsweise durch seine Ausrichtung an den Adressaten bestimmt? Wurden unter Umständen Zugeständnisse an die Aufnahmefähigkeit, den kulturellen Hintergrund oder das Bildungsniveau der Empfänger gemacht?
Beantwortung der Fragestellung
Nachdem die Quelle in dieser Weise systematisch analysiert, die Intention des Autors geklärt sowie der Kontext der Quelle in einen größeren Zusammenhang eingebettet und beurteilt wurde, gilt es, die Textbefunde in einem letzten Schritt auf die Fragestellung zu beziehen, deretwegen sie überhaupt erst konsultiert wurde. Hierzu werden die Ereignisse und Personen noch einmal in einen übergeordneten Zusammenhang kontextualisiert und problematisiert.
Unter Umständen gehört in diesen Arbeitsschritt auch die Feststellung, dass die anfangs aufgeworfene Fragestellung aufgrund der Quellenlage nicht oder nicht zureichend beantwortet werden kann. Hieraus können sich Verweise auf Quellen anderer Epochen oder alternative Fragestellungen an diese oder andere Quellen ergeben. Anschließend sollte man die historische Bedeutung des Quelleninhalts würdigen und ein begründetes Gesamturteil abgeben.
Eine Quelleninterpretation ist die Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten im Studium der Geschichtswissenschaft. Wer allerdings lernt, worauf man bei einer Quelleninterpretation achten muss und lernt, Quellen anhand einer Fragestellung zu interpretieren und zu analysieren, muss sich auch vor der Bachelorarbeit in Geschichte nicht mehr fürchten.
Literatur
von Brandt, Ahasver (1986): Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 11. Auflage, Stuttgart.
Droysen, Hohann Gustav (1943): Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, hrsg. von Rudolf Hübner, München/Berlin.
Rubel, Alexander (2017): Per Anhalter durch die Antike – 1.400 Jahre griechisch-römische Geschichte und ihre Aktualität, Wiesbaden.